Es gibt Menschen, die behaupten, Schwäche sei ein Verbrechen. Schwäche – definiert als körperlicher oder geistiger Abbau, fehlende Kraft oder nachteilige Eigenschaft. Als Faible oder besondere Vorliebe für etwas.
Ist das so? Ist Schwäche ein Verbrechen?
Gut zitiert ist halb gewusst
Gleich zu Beginn meiner Ausbildung bei der Deutschen Sportakademie gab es ein webbasiertes Training zur Einführung in den Fitnessmarkt. In dem Training konnte man ein Quiz zur Wissensüberprüfung beziehungsweise zur weiteren Wissensvermittlung machen. Dort bin ich auf ein Zitat gestoßen. Man sollte den Beginn „Weakness is a crime… „ mit dem passenden Ende versehen.
Weakness is a crime
Selbstverständlich hatte ich keine Ahnung. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich mich weder im Kraftsport, noch mit dessen berühmten Persönlichkeiten aus.
Durch die Frage im Quiz lernte ich Bernard Adolphus MacFadden, bekannt unter dem Namen Bernarr Macfadden, kennen. Leider nicht persönlich, denn er lebte von 1868 bis 1955. Sein Leben war wohl nicht ganz einfach. Bernard Adolphus war kränklich und schwach und wurde im Alter von elf Jahren zum Waisenkind. Nachdem er zwischen verschiedenen Verwandten herumgereicht wurde, landete er auf einer Farm. Durch die körperliche Arbeit, die er auf der Farm verrichten musste, wurde er groß und stark. Nur leider hat er die neu gewonnene Muskelkraft ein paar Jahre später wieder verloren. Er tauschte nämlich die Arbeit in Wald und Feld mit einem Job im Büro. Die mangelnde Bewegung führte – damals wie heute – zu Muskelabbau und erneuten Krankheiten. Das veranlasste MacFadden sich seine ersten Hanteln zu kaufen. Neben dem täglichen Krafttraining absolvierte er auch ein Ausdauertraining, indem er 10 Kilometer jeden Tag wanderte.
Bernarr Macfadden legte im Fitnessbereich eine steile Karriere hin. Er schrieb Zeitschriften und Bücher, eröffnete Studios und sogar – als überzeugter Vegetarier – ein rein vegetarisches Restaurant. Damals, im Jahr 1902, in Amerika schon revolutionär.
Dass dieser Mann ein sehr bewegtes Leben geführt hat, zeigt auch die Tatsache, dass er acht Kinder aus vier Ehen hat.
Don´t be a criminal
Das war der Slogan des berühmten Vorreiters der heutigen Fitnesskultur
„Weakness is a crime.
Bernarr Macfadden
Don´t be a criminal.“
Nein, ein Verbrecher will ich nicht sein. Ich, die nicht mal bei Rot über die Ampel geht.
Ganz ehrlich gesagt, hat mich dieses Zitat ziemlich geärgert, als ich es das erste Mal gelesen habe. So sehr geärgert, dass ich der Aussage jetzt sogar einen Blogpost widme. Denn ist es wirklich ein Verbrechen schwach zu sein?
Schwäche & Verbrechen – die Definitionen
Im Duden hat das Wort Schwäche vielerlei Bedeutungen. Die meisten davon sind negativ behaftet. Zum einen wird Schwäche als Beschreibung fehlender körperlicher Kraft oder fehlender körperlicher Funktionstüchtigkeit verwendet. Zum anderen als charakterliche, moralische Unvollkommenheit oder als nachteilige Eigenschaft, als Mangel einer Sache. Schwäche bedeutet aber auch eine besondere Vorliebe, eine spezielle Neigung für etwas zu haben. Was ja jetzt grundsätzlich nicht so negativ anzusehen ist.
Ein Verbrechen ist, ebenfalls laut dem Duden, eine verabscheuenswürdige Untat, eine verwerfliche und verantwortungslose Handlung. Ein Verstoß gegen die Rechtsordnung oder die Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens.
Sind wir alle schwache Verbrecher?
Ich habe mir seither oft die Frage gestellt, was uns Bernarr Macfadden mit seinem Wahlspruch sagen wollte. „Schwäche ist ein Verbrechen. Sei kein Verbrecher.“
Ist fehlende körperliche Kraft eine verabscheuenswürdige Untat? Oder ist es ein Verstoß gegen die Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens eine charakterliche Unvollkommenheit zu haben?
Betrachtet man den Lebenslauf Macfaddens, sieht man einen zielstrebigen, körperlich und mental starken Mann, der authentisch sein Leben lebte. Und nicht nur sich selbst daran hielt, sondern durch Publikationen, Gründung eigener Studios und Schulen und vielfältiges weiteres Engagement auch anderen seinen Lebensstil nahe zu bringen versuchte. Er soll sogar seine eigene Religion „Cosmotarianism“ gegründet haben. Basierend auf der Bibel musste man, um in den Himmel zu kommen, nicht nur seinen Nächsten lieben, sondern auch vorrangig seine eigene Gesundheit.
Ist es ein Verbrechen schwach zu sein?
Je länger ich mich mit dem Thema beschäftige, desto mehr Facetten erkenne ich in der Aussage.

– it’s only for the Weak“
IN FLAMES
Vor allem ist meiner Meinung nach ein Aspekt überaus wichtig: Schwäche ist nicht gleich Schwäche.
Ich denke, Bernarr Macfadden selbst hat es etwas übertrieben. Man könnte glatt sagen, er hatte eine Schwäche für sich selbst.
Allerdings kann ich sein Ansinnen grundsätzlich unterstützen, denn sportliche Betätigung hat vielerlei Vorteile: es regt die Durchblutung an, der Körper wird insgesamt besser mit Sauerstoff versorgt und das Immunsystem wird verbessert. Ganz zu schweigen von der Ausschüttung von Glückshormonen und der Reduzierung von Stresshormonen.
Sportliche Betätigung macht und hält uns gesünder, womit der fehlenden körperlichen Funktionstüchtigkeit entgegengewirkt werden kann. Ganz abgesehen vom Kraftaufbau, der immer auf irgendeiner Weise mit sportlicher Betätigung einhergeht.
Aber ob man jetzt viel oder wenig Kraft hat, stark oder weniger stark ist – das ist sicherlich keine verabscheuenswürdige Untat.
Charakterschwäche
Ist es dann vielleicht ein Verbrechen charakterlich unvollkommen zu sein? Einen Mangel zu haben, also nicht perfekt zu sein?
Bernarr Macfadden schien ein sehr charakterstarker Mann gewesen zu sein. Vermutlich jemand, der nicht einmal sich selbst etwas durchgehen lies. (Was vielleicht aber nicht unbedingt eine Stärke ist.)
Als schwach werden auch oft sehr gefühlvolle Menschen bezeichnet. Dabei ist es aber doch so, dass gerade erst die innerliche Stärke es uns möglich macht, unsere Gefühle offen zu zeigen. Was implizieren würde, dass ein gefühlvoller Mensch gar nicht schwach, sondern vielmehr stärker als der vermeintlich durchhaltende Starke ist.
In Seminaren zur Persönlichkeitsbildung greift man zu einem genialen Schachzug: Schwächen werden einfach umdefiniert – in Entwicklungspotentiale. Und dann hört sich das Ganze doch gleich viel positiver an. Denn würde jemals jemand behaupten, dass Entwicklungspotentiale ein Verstoß gegen die Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens sind? Nein, wohl nicht.
Die Balance macht´s
Wie schon erwähnt, die provozierende Aussage Macfaddens kann auf vielerlei Arten interpretiert werden.
Ich finde, wie bei allem im Leben ist hier die Balance gefragt. Die Balance zwischen Schwäche und Stärke. Zwischen weich und hart. Zwischen Ausnahmen zulassen und Durchalten.
Wenn es um die Gesundheitserhaltung geht, dann bin ich ganz auf Bernarr Macfaddens Seite. Ist man hier kontinuierlich schwach, ist es eine eindeutig verwerfliche und verantwortungslose Handlung, ein Verbrechen am eigenen Körper. Das schließt natürlich auch die stetige Arbeit am und mit dem eigenen Körper durch sportliche Betätigung mit ein. Nicht vorrangig um physische Stärke aufzubauen, sondern eben der Gesundheit und auch der psychischen Stärke wegen.
Betrifft es die mentale Schwäche, die Entwicklungspotentiale, so meine ich, ist man keinesfalls ein Verbrecher, wenn man schwach ist. Vielmehr ist es ein Zeichen von Stärke dazu zu stehen und an den vermeintlichen Schwächen zu arbeiten.
Und nicht zuletzt ist es Ansichtssache, was als Charakterschwäche und was als Charakterstärke auszulegen ist. So kann eine charakterliche Eigenschaft immer positiv oder negativ sein. Ein sturer Mensch kann beispielsweise ebenso als zielstrebig und willensstark bezeichnet werden.
Schwäche ist ein Verbrechen
Schwäche ist allerdings dann ein Verbrechen, wenn man sie an anderen auslässt. Zum Beispiel an noch schwächeren wie Kindern oder Tieren. Das ist wirklich eine verabscheuenswürdige Untat. Und oft auch ein Verstoß gegen die Rechtsordnung oder die Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens.
Mein Fazit – Yin und Yang
Bernarr Macfadden war ein schlauer Mann. Abschließend kann ich gar nicht sagen, ob ich auch hinter seiner Aussage stehen würde.
Auf jeden Fall bin ich nicht mehr so ungehalten über den herausfordernden Spruch. In einigen Punkten konnte ich Macfadden ja sogar zustimmen. Und ich bin dankbar, dass er mich dazu gebracht hat, über all die vielen Facetten von Schwäche nachzudenken.
Deshalb haltet es nach dem guten alten Yin und Yang Prinzip. Solange niemand zu Schaden kommt, bewahrt euch beides: Stärke und Schwäche. Zwei Kräfte die wechselweise dominieren und auch dominieren sollen. Denn nur wer ein ausbalanciertes Leben lebt, wird glücklich werden.

Für ein ausbalanciertes Leben kann ich euch Yin Yoga empfehlen
Und falls ihr auch an euch arbeitet – an euer Stärke oder an eurer (Charakter) Schwäche aka Entwicklungspotential: Ich wünsche euch viel Erfolg dabei!
Stay tuned…