Hier kommt der vierte und letzte Teil des Tagebuchs meiner Yogalehrerausbildung bei Yoga Vidya. Erkenntnisreiche, verrückte und wunderschöne drei Wochen liegen hinter mir. Jetzt in der vierten Woche habe ich das Gefühl mit mir eins zu sein – eine Einheit von Körper, Geist und Seele…

4. Woche, 1. Tag: Samstag, 29.08.2020
Geduld
Heute hatte ich die beste Yogastunde meines Lebens. Am Morgen besteht unsere Unterrichtseinheit immer aus einem Vortrag und einer anschließenden langen Yogaeinheit für die eigene Praxis. In dieser Einheit soll ausschließlich gespürt werden. Es wird nichts aufgeschrieben oder besprochen, sondern nur geatmet, bewegt und gefühlt. Bisher war das schon immer sehr angenehm und kraftspendend. Aber heute war es einfach perfekt. Denn heute morgen war mein Energie- und Harmonielevel nach meinem gestrigen Gespräch mit dem Baum noch ganz unten. Aber nach der Yogaeinheit ist es wieder ganz oben. Ich bin total in Harmonie – total aufgegangen im Yoga eben.
Grund dafür waren die Worte unsere Dozentin Jeannine. Auf dem Unterrichtsplan stand nämlich Yoga mit Affirmationen und den geistigen und psychischen Wirkungen der Asanas. Zum einen ist die ruhige Art von Jeannine schon für sich alleine sehr harmonisierend. Aber es waren auch die Worte an sich, die mich in einen schier übersinnlichen Zustand voller Erkenntnisse versetzte.
Ich weiß jetzt nämlich woher meine Probleme im unteren Rücken kommen. Zum Beispiel habe ich in Halasana, dem Pflug, schon seit geraumer Zeit Probleme.

Schaut man in die geistigen Entsprechungen, ist ganz klar warum. Unter anderem steht der Pflug dafür, dass man im übertragenen geistigen Sinn den Boden für notwendige Veränderungen vorbereitet. Kein Problem für mich. Zum Problem wird dann eher das zweite. Nämlich, dass man geduldig auf die Resultate, die Ernte, wartet. Ein großes Problem für mich. Mit Geduld habe ich es nicht wirklich. Motivierend finde ich jedoch eine weitere geistige Entsprechung für den Pflug, der gerade auch gut zu meinem Gemütszustand passt:
Auch im Chaos ist Ordnung.
∞
Genauso bei der sitzenden Vorwärtsbeuge. So konnte ich einst die finale Stellung, die Nase zwischen die Knie geben, locker erreichen. Mittlerweile komme ich über einen 70 ° Winkel nicht mehr heraus.

Schaut man in die geistigen Entsprechungen, steht dort zu lesen:
Geduldig beuge ich mich den Dingen. Ich gebe alles Wollen und Erzwingen einfach ab und lasse geschehen. Ich übe mich in Geduld.
∞
Ich habe somit wohl einen neuen Auftrag. Nachdem das mit der Demut mittlerweile ganz gut klappt – ich habe nämlich Bhakti-Yoga, das Yoga der Gottesverehrung, für mich entdeckt, aber dazu später mehr – und auch mein Perfektionismus auf ein Minimum reduziert ist, habe ich noch Kapazitäten für eine Weiterentwicklung frei. Deshalb nehme ich jetzt in meinen Weiterentwicklungskatalog das Üben von Geduld noch mit auf...

4. Woche, 2. Tag: Sonntag, 30.08.2020
Shanta Bhava – Gott in der Natur sehen
Neben dem Vermitteln von Unterrichtstechniken, steht hier viel Yoga-Philosophie auf dem Programm. Wie ich bereits in Pt. 1 meines Tagebuchs erwähnt hatte, sieht sich Yoga nicht als Religion, sondern als Philosophie. Trotzdem geht es hier ganz oft um Gott. Oder wie man es/sie/ihn auch immer nennen mag. So gibt es sogar einen eigenen Yogaweg der sich mit Gott beschäftigt. Der Weg heißt Bhakti-Yoga und im Bhakti-Yoga geht es darum, wie man Gott verehren kann.
Ich bin selbst überrascht, aber dieser Weg hat es mir wirklich sehr angetan. In unserem Lehrbuch heißt es: Bhakti-Yoga ist Liebe um der Liebe willen. Ist das nicht schön? Ich denke, damit bin ich bei meiner Entwicklung von Demut ebenfalls noch einen Schritt weiter gekommen. Allerdings steht auch im Lehrbuch geschrieben: Bescheidenheit ist die Grundlage für Bhakti-Yoga. Sieht so aus, als hätte ich noch eine neue Baustelle…
Wie dem auch sei. Ich habe meinen neuen Lieblingsweg entdeckt, dass Göttliche zu verehren. Eine der Verehrungsformen ist nämlich Shanta-Bhava. Dort verehrt man das Göttliche als reinen Frieden und Stille. Eine Möglichkeit hierbei ist die Schöpfung an sich, die Natur, zu verehren.
Seit meiner Unterhaltung mit dem Baum zieht es mich öfters ins Silvaticum, wo es unter anderem einen Bienenstand mit einer Naturwiese davor gibt. Dort summen die Bienen, die Blumen blühen und die Grillen zirpen. Ein absolut friedlicher Ort, der eine überaus angenehme Ruhe ausstrahlt.

Immer wenn ich Zeit habe, lege ich mich dort ins Gras und bin einfach nur dankbar. Dankbar zu sein, dankbar dort sein zu dürfen und dankbar, so einen wunderschönen Ort gefunden zu haben. Es kann so einfach sein, das Göttliche zu verehren!

4. Woche, 3. Tag: Montag, 31.08.2020
Pratyahara – Rückzug aller Sinne
Um zu sich selbst zu finden, muss man seinen Geist kontrollieren und falsche Identifikationen abgeben können.
Ein Weg, seinen Geist zu positiv zu beeinflussen ist Pratyahara – das Zurückziehen aller Sinne.
So ähnlich habe ich das schon mein gesamtes vorheriges Leben gemacht. Wenn man mal das Hören als Sinn herausnimmt. Für mich gibt es nämlich nichts Schöneres als Kopfhörer im Ohr zu haben, meinen Lieblingssongs zu lauschen und alles andere auszublenden. Vermutlich zählt das aber nicht als richtiges Pratyahara, denn es sind ja nicht alle Sinne zurückgezogen.
Heute habe ich in der Yogastunde noch eine schöne Möglichkeit gelernt, Pratyahara zu praktizieren beziehungsweise mit einer Asana verbinden können, die ich ohnehin liebe. Mit einer Pflugvariation. Bin ich nämlich mit meinen Problemen im unteren Rücken erstmal im Pflug angekommen, geht es mir darin eigentlich sehr gut. Am besten geht es mir, wenn ich meinen Rücken runden und die Knie neben den Ohren ablegen kann.

In der heutigen Yogapraxis, hat mir unser Dozent Adinath dabei noch meine Hände auf meinen Kopf gelegt. So war ich vollkommen in mir. Eine Einheit von Körper, Geist und Seele. Wie angenehm das war! Geborgen. Nur durch mich und für mich. Alle Sinne waren zurückgezogen. Was für eine schöne Art mit sich selbst in Harmonie zu sein.

4. Woche, 4. Tag: Dienstag, 01.09.2020
Millionärin der Momente
Heute war absoluter Schweigetag. Kein Reden. Auch nicht während des Unterrichts. Am besten den Blick fortwährend gesenkt halten. Rückzug aller Sinne in Extremform. Nur im eigenen Inneren weilen.
Der Tag war gefüllt mit Meditation und sanftem Yoga. Damit wurden dafür dann alle Sinne wieder angesprochen. Und zwar in einer so wunderbaren Weise, dass man in seinem Innersten bleiben konnte, sich dort außerordentlich wohl gefühlt hat und gar nicht mehr zurück wollte.
„If Silence is golden then I’m a Millionär to this day…“
ALEAH „Inverted Enlightenment“
„Wenn die Stille golden ist, dann bin ich (bis) heute Millionär…“ Was für ein wunderschöner Tag mit so vielen wundervollen Momenten. Gerade wegen der Stille. Ich habe mich noch nie so friedlich gefühlt. Mein Körper, mein Geist und meine Seele waren wirklich zu einer Einheit verschmolzen. So schön!

4. Woche, 5. Tag: Mittwoch, 02.09.2020
Viele neue Sichtweisen
Der heutige Tag begann sportlich. Partnerübungen standen auf dem Programm. Was hatten wir Spaß dabei! Es gibt viele Asana-Variationen, die man gemeinsam machen kann. So zum Beispiel den Schulterstand.

Asanas zu zweit eröffnen eine ganz neue Sicht auf die Ausführung der Körperhaltungen. Wunderschön war auch das Pranayama, das Rücken an Rücken ausgeführt wurde. Da war der Partner zwar nicht sichtbar, aber umso besser spürbar.
Eine ganz besondere Übung haben wir im Vorfeld der Partnerübungen gemacht. Wir sind uns nämlich auf Augenhöhe begegnet. Und zwar wirklich mit den Augen. Alle Schülerinnen und Schüler sind im Raum umhergegangen und ertönte die Klangschale, suchte man sich das nächste Gegenüber und schaute sich direkt in die Augen. Mehrere Minuten lang.
Wie unterschiedlich doch diese Sichtweisen waren. Manche Augen sprühten nur so vor Spiritualität. Manche Augen strahlen einen unglaubliche Herzensgüte aus. Anderen wiederum sah man an, dass es ihnen nicht wirklich angenehm war. Eine sehr interessante Übung, die auch mir wieder eine neue Sichtweise auf mein eigenes Leben eröffnet hat. Vor allem wie besonders manche (langen) Augen-Blicke sind.
Lange Augenblicke in der Unterrichtsprobe
Lange Augenblicke hatte ich auch in der letzten meiner drei Unterrichtsproben, die am Nachmittag stattgefunden hat.
Eine Stunde für Fortgeschrittene sollte gehalten werden. Die Asanas durfte man (entsprechend der richtigen Abfolge nach der Yoga Vidya Grundreihe) selbständig heraussuchen. Ich war gut vorbereit und fand meine Unterrichtsplanung ziemlich gelungen.

Freudig und mit viel Spaß habe ich die Stunde angeleitet. Sogar die Ansage der Atmung und die Ansage des Sonnengrußes einschließlich richtiger Atmung während des Sonnengrußes haben hervorragend geklappt.
Als ich gerade kurz davor war, die Tiefenentspannung an Ende der Stunde anzukündigen, greift die Prüferin ein und sagt ich hätte noch 20 Minuten. Wie? Auf meinem Wecker waren es noch knapp 15 Minuten! Genau richtig für 10 Minuten Entspannung, 2 Minuten Mediation, ein Mantra und diverse Meistergrüße und Oms am Ende.
Was war geschehen? Mein Wecker lag am Boden. Und meine Sicht auf den Wecker war leider etwas schräg. Aus meinem Blickwinkel zeigte er mir 5 Minuten später an.

Da ich ja aber neuerdings über Spontanität und Gelassenheit verfüge, war das kein wirkliches Problem. So durften meine Teilnehmerinnen noch einen Baum und einen Tänzer machen und sich dann anschließend alle – einschließlich mir – tiefenentspannen…

4. Woche, 6. Tag: Donnerstag, 03.09.2020
Mantraweihe
Ich habe mich entschieden. Lange, wirklich sehr lange habe ich überlegt, ob ich zur Mantraweihe gehen soll. Aufmerksame Leser der vorangegangenen drei Teile haben das sicherlich bemerkt.
Immerhin ist es eine Aufgabe, jeden, wirklich jeden Tag zwischen 20 und 40 Minuten zu meditieren. Außerdem ist es Sinn und Zweck, dass das Mantra auch Auswirkungen auf das tägliche Leben hat. Das sollte man sich schon gut überlegen, ob man das möchte.
Nachdem insbesondere der schweigende Meditationstag mir so viel Frieden geschenkt hat und ich auch alle anderen Meditationen sehr genossen habe, habe ich mich dafür entschieden.
Heute war die letzte Möglichkeit zur Mantraweihe. Frisch geduscht und in frisch gewaschenen -weißen!- Kleidern bin ich geweiht worden. Sogar meine Nase habe ich frisch geduscht. Mit meinem neuen Kännchen und den neu erworbenen Kenntnissen der Kriya-Übungen.

Es war wirklich sehr schön, so feierlich. Ein Erlebnis, dass man nicht mehr vergisst.
Die Feuertaufe
Am Abend gab es für uns angehende Yogalehrer noch ein spezielles Event. Eine Homa. Die Homa ist ein Feuerritual aus dem Bhakti-Yoga, meines neuen Lieblingsyogawegs. Dabei opfert man etwas ins Feuer. Man gibt etwas und bekommt etwas dafür.
Ich habe ganz viel bekommen. Nach dem Mantra heute morgen nämlich noch einen neuen Namen. Denn ist man in ein Mantra eingeweiht, darf man sich einen spirituellen Namen geben lassen.
Deshalb gab es nach der Homa noch eine ganz spezielle Zeremonie, in der Sukadev persönlich die „Taufe“ übernahm. Und so darf man mich jetzt nicht mehr nur mit Sabine ansprechen, sondern auch mit Kālīpriyā.
Was für ein außergewöhnlicher Tag. Irgendwie fühle ich mich schon ein bisschen wie neu geboren.


4. Woche, 7. Tag: Freitag, 04.09.2020
Mein Mantra kommt zu mir
Der Tag vor der großen Prüfung ist dem Nacharbeiten und Lernen gewidmet.
Aber bevor sich jeder in seine Bücher vertieft, wird gemeinsam im Satsang meditiert und gesungen. Die erste Meditation mit „meinem“ Mantra. Und tatsächlich – wie wenn das Mantra darauf gewartet hätte jetzt endlich auch von alleine kommen zu dürfen und nicht erst, wenn ich es rufe, stellt sich es ganz automatisch ein. Wie wenn es schon immer zu mir gehört hätte. Wie wenn es nie anders gewesen wäre.
Sieht so aus, als hätte ich die richtige Entscheidung getroffen.

4. Woche, 8. Tag: Samstag, 05.09.2020
Die große Prüfung
Heute war es soweit: Der Tag der theoretischen Abschlussprüfung war da. Vier Stunden lang Yoga-Theorie niederschreiben. Da es zeitlich immer sehr knapp war, den Unterricht nachzuholen und zu vertiefen, habe ich gestern noch bis tief in die Nacht gelernt und bin heute Morgen auch schon um 4 Uhr aufgestanden, um alles noch einmal zu wiederholen.
Wie immer begann der Tag mit Pranayama (Atemübungen) und dem Satsang. Das hat schon viel von der Nervosität weggenommen und neue Energie gegeben. Außerdem beruhigt das Singen den Geist so schön. Das wird mir echt fehlen.
Nach einem kurzen Frühstück, dass eigens für uns Prüflinge gerichtet wurde – sonst gibt es ja erst gegen 11 Uhr Essen – ging es los. Jetzt war ich doch nervös, sehr sogar. Diese Sanskrit-Wörter wollen einfach nicht in meinem Kopf bleiben. Das ist wirklich noch schwieriger zu lernen als Finnisch.

Und ich habe es geschafft! Meine großer Test ist bestanden: Ich habe meinen Perfektionismus besiegt! Wie schon in meinen Lehrproben habe ich mich mit viel weniger zufrieden gegeben als ich es sonst tun würde. Viel weniger Anforderungen an mich gestellt als früher.
Die Ausbildung ist der erste Schritt auf meinem Yoga-Weg. Für diesen Weg muss man nicht perfekt ausgerüstet sein. Unterwegs findet man sicher vieles, das nützlich sein wird. Man muss nicht gleich zu Beginn am Ende angekommen sein.
Die Abschlussprüfung habe ich natürlich auch bestanden. Und so konnte ich ganz entspannt das Festessen genießen, dass eigens für uns gegeben wurde.

Meine nächste Ausbildung wird die Ausbildung meiner Geduld sein. Aber ich befürchte, da werde ich nicht so schnell so erfolgreich sein…

4. Woche, letzter Tag: Sonntag, 06.09.2020
Der Tag der Heimreise
Der Tag der Heimreise war gekommen. Zu Beginn schienen die vier Wochen am Stück wie ein großer Berg, den es zu erklimmen galt. Aber letztendlich verging die Zeit dann doch viel zu schnell.
Einerseits wird es schön sein, die Kinder wieder zu haben. Andererseits ging es mir hier so gut. Noch nie war ich so in Einheit mit mir selbst. Yoga eben – eine Einheit von Körper, Geist und Seele.
Ich werde alles hier vermissen: den Satsang, die Yogastunden, die interessanten Vorträge, das leckere Essen. Auch die vielen lieben Menschen, die ich hier treffen durfte, werde ich vermissen.
Aber ich bin auch gespannt, was noch kommen wird. Denn die Reise hat gerade erst begonnen…


Mein Resümee der vier Wochen Yogaausbildung bei Yoga Vidya in Bad Meinberg:
Noch nie war ich so in Einheit mit mir selbst; ruhig und gelassen in all meinen Stärken, aber vor allem auch all meinen Schwächen.
Ich durfte hier unglaublich viel erfahren und lernen. Dafür bin ich überaus dankbar. Auch wenn dabei viel Salzwasser in Form von Tränen oder Schweiß geflossen sind.
Dankbarkeit ist überhaupt das größte Gefühl, dass ich jetzt gerade habe. Dankbarkeit dafür, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist. Auch wenn es nicht so geplant war. Und Dankbarkeit für all die netten Menschen, für alle tiefgründigen Gespräche, für die Hilfsbereitschaft und die Toleranz, die hier gelebt wird. Ich habe mich so wohlgefühlt, dass ich am liebsten geblieben wäre!
Aber um mit den Worten von Kaunis Kuolematon zu sprechen, die mich die ganzen vier Wochen hier begleitet haben:
„Vieles hat sich verändert und meine Reise zu etwas Neuem und Wunderschönen hat gerade erst begonnen.“
∞
„Paljon on muuttunut
matkani alkanut
kohti uutta ja kaunista.“∞
Ikaros von Kaunis Kuolematon
(finnische Band, deren Name zu deutsch übrigens wunderschöne Unsterblichkeit bedeutet)

Vielen Dank, dass ihr mich die ersten Schritte meines Yogawegs begleitet habt.
ॐ Om Namah Shivaya ॐ
1 Kommentar zu „Einheit von Körper, Geist & Seele… 4-Wochen-Yogalehrer-Intensiv-Ausbildung Pt. 4“